Schriftliche Zeugnisse des Frühmittelalters

Erste urkundliche Erwähnungen

 

Erste urkundliche Erwähnung 748 oder 893 n.C. So oder ähnlich beginnen viele Ortschroniken. Auch 1.000-Jahr-Feiern berufen sich auf die Jahreszahlen, über die erstmalige schriftliche Zeugnisse vorliegen. Dabei sind diese Urkunden ja schon Beweis dafür, das in dem genannten Jahr schon seit langem eine gefestigte Dorfgemeinschaft bestanden hat, der Ort also viel älter ist.

Warum tauchen diese ersten schriftlichen Zeugnisse vermehrt um die Jahrtausendwende auf, während das Leben im frühen Mittelalter nur ganz spärlich von schriftlichen Unterlagen erhellt wird.

Die germanischen Sprachen waren in der Frühzeit noch sehr differenziert und es war noch keine "Schriftsprache".

Für die Christianisierung war es schon damals unverzichtbar, dass in allen Regionen von den Missionaren eine einheitliche Glaubenslehre verkündet wurde, und dies war nur möglich, wenn die Grundsätze schriftlich festgehalten waren. Die Kirche stand auf "römischen" Säulen und benutzte daher für Ihre Aufzeichnungen und Regelungen die lateinische Sprache und Schrift. Die Verwaltung und das Militär in den zu bekehrenden Ländern beherrschte diese Sprache. Später, nach dem Untergang des römischen Reiches und der fränkischen Herrschaft waren daher nur noch in den Klöstern und Bischofssitzen die Schriftkundigen anzutreffen.

Ohne Zweifel gab es im Mittelalter nur wenige Menschen weltlichen Standes, die lesen und schreiben konnten. In der Lebenswelt des Volkes im Sinne der "kleinen Leute" bedurfte man dieser Künste ohnehin nicht. Die fränkischen Adligen waren in der Regel selbst als Analphabeten den Anforderungen ihres Standes gewachsen. Mit modernen Maßstäben gemessen, herrschte Karl der Große über ein Volk von Analphabeten.

Aber Kultur war und ist nicht grundsätzlich und unter allen Bedingungen Buch- und Schriftkultur, zumal dann nicht, wenn die Schriftlichkeit an das Medium einer sich verfremdenden oder sogar gänzlich fremden Sprache (Latein) gebunden ist, wie dies im Reiche Karls des Großen der Fall war. In der Laienwelt herrschte eine Volkskultur, die sehr gut ohne die Schrift auskam. Sie beruhte auf der Autorität von Sitte und Brauch, von Wort und Gebärde. Und es gab geschichtliche Überlieferungen, Dichtungen und Gesänge, Märchen und Sagen, die in mündlicher Form von Generation zu Generation weitergegeben und ausgestaltet wurden.

Auch im Rechtswesen war die Schrift entbehrlich. Rechtssätze und Rechtsbräuche wurden mündlich tradiert, die Verhandlung war mündlich, das Urteil wurde "gesprochen". Mit der Sprache, deren man sich vor Gericht zu bedienen hatte, waren eng die Gebärde und die symbolische Handlung verbunden. Der Zeuge war wichtiger als die Urkunde. Ausdruck dieser mündlichen Rechtskultur ist es, dass das Wort "urchundo" im Althochdeutschen nicht das Pergament, das geschriebene Beweismittel, bezeichnete, sondern den Zeugen, der mit seinem Munde die Wahrheit "kundtun" konnte.

Karl der Große hatte offensichtlich den Wert der Schrift für die Verwaltung und Beherrschung des Großreiches, für die Erhöhung der Rechtssicherheit, für Verbesserungen in der Heeresverfassung und für den diplomatischen Verkehr erkannt und zu nutzen versucht. Rechtspflege und Verwaltung, die in der Praxis nicht Bürokratie, sondern Ausübung von Herrschaft im Namen des Königs waren, wurden zunehmend durch die Anwendung der Schrift unterstützt und abgesichert.

Die alten Stammesrechte wurden in neuen verbesserten Handschriften verbreitet und die bisher nur mündlich überlieferten Rechte wurden erstmals kodifiziert. Der Grundbestand an Rechtssätzen blieb dabei unangetastet, aber neue Rechtssätze wurden beschlossen und schriftlich fixiert.

Im Rechtsleben spielte die "schriftliche Urkunde" eine immer größere Rolle, wobei es vor allem die Klöster waren, die gesteigerten Wert auf die Absicherung ihrer Rechte durch die Schrift legten.

Die Sprache aller dieser frühen Dokumente, der Urkunden, Kapitularien und Rechtstexte war Latein. Schwer zu sagen, ob dieses einfache, mit fränkischen, notdürftig latinisierten Brocken durchsetzte Latein von den Adressaten auch wirklich verstanden wurde, oder ob sie auf Gedeih und Verderb den Übersetzungskünsten der Geistlichkeit ausgeliefert waren.

Während in der Merowingerzeit noch eine bunte Vielfalt an Schriftformen benutzt wurde, so setzte sich später mit der karolingischen Minuskel eine gut lesbare und einheitliche Schriftform durch, die auch Basis unserer heutigen Druckschrift wurde.

Gerade im 11. und 12. Jhd. wurden daher viele Überlieferungen und alte Schriftstücke in dieser Schrift neu gefasst, abgeschrieben. Damit wollte man seine Rechte der Zeit entsprechend zusammenfassen und beweisen. Auch ging man in dieser Zeit hin, die alten römischen Schriften die in unhandlichen Pergamentrollen überliefert waren, auf das viel billigere und praktischere Papier abzuschreiben und zu Büchern zu binden. Nur dadurch sind uns die Texte vieler klassischer Werke erhalten geblieben.

Insbesondere die Klöster und andere "Besitzende" fassten Ihre Rechte und Besitztümer in neuen schriftlichen Urkunden zusammen und ließen diese bei verschiedenen Gelegenheiten dann vom König oder Papst bestätigen. Diese Bestätigungs-Urkunden sind heute der große Fundus über die "Ersterwähnungen".

Sicherlich sind bei diesem Ab- und Umschreiben unbewusst verschiedene Fehler entstanden. Aber auch der alte karlolingische Rechtsgrundsatz, dass das älteste "beurkundete" Besitzrecht maßgeblich sei, führte sicherlich dazu, dass viele bewusste Urkundenfälschungen entstanden.

Ein Großteil der von der heutigen historischen Forschung als "Fälschung" entlarvten Urkunden stellen trotzdem den richtigen Rechtsstand in der jeweiligen der Zeit dar. Die Abweichungen beruhen oft auf falschen Interpretationen der mündlichen Überlieferungen bei der schriftlichen Niederlegung, weniger auf bewussten Verfälschungen der Zeitangaben aus betrügerischen Absichten.

Erst ab dem 9./10. Jhd. sind uns in immer größerer Zahl alte Urkunden erhalten geblieben. Für die Zeit davor müssen wir die bekannten Daten, Ereignisse und Überlieferungen entsprechend interpretieren und diese dann, soweit sie sich als kohärent zeigen, als richtig annehmen.

 

Bemerkungen alter Historiker:

Wenn schon so vieles im Schoße der Vergangenheit verborgen liegt, dann kann auch dieser Punkt unklar bleiben.
(Livius)
In den Urkunden haben diese Vorgänge keine Spuren hinterlassen.
(?ß)
Se non è vero, è ben trovato
"Ist´s nicht wahr, so ist´s doch gut erfunden.
(Plinius)
Die gestrenge Wissenschaft möge hier einmal einen Augenblick vor die Tür gehen, wenn wir uns der, allerdings kritisch gezügelten, Phantasie hingeben und nach ..... fragen.
(?)
Datum Christi Geburt
Christus ist unter Herodes geboren, der 4 n.C. starb. Die Festlegung der nicht genau datierbaren Geburt auf das Jahr "0" der heutigen Zeitrechnung erfolgte im 6. Jahrhundert.

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