Von der alten in die neue Heimat

- Briedeler Auswanderer nach Brasilien -

 

Im 19. Jahrhundert veränderte sich in Deutschland die Bevölkerungspyramide durch das Zusammenwirken traditionell hoher Geburtenraten und steigender Lebenserwartung Der Wandel durch die Industrialisierung und der Entstehung von Arbeitsplätzen kam in der ländlichen Moselregion so nicht zum tragen. Darüber hinaus führte die Realteilung beim Erbe zur Zersplitterung des Grundbesitzes, der keine auskömmliche Existenz für die Besitzer mehr bot. Katastrophale Ernteausfälle führten immer wieder (z.B. 1844/45) zu Hungersnöten in der Bevölkerung. Dazu kamen die politischen Repressionen und fehlende soziale Perspektiven, die immer wieder einen Anstoß zur Auswanderung gaben.

Insbesondere Brasilien war nach seiner Unabhängigkeit von Portugal unter seinem Kaiser Pedro I. stets bemüht, viele europäische Einwanderer anzuziehen und besonders in den bis dato fast menschenleeren Gebieten im Süden des Landes anzusiedeln. Einer der Hauptgründe dazu war es, damit die Gebietsansprüche gegenüber dem von Spanien abgefallenen Argentinien zu sichern. Die Einwanderer wurden sozusagen als Wehrbauern gegen argentinische Aspirationen eingesetzt. Auch die Abschaffung der Sklaverei führte zu einem steigenden Bedarf an Arbeitskräften.

Gerade an der Mosel und im Hunsrück hatten die Werber für die Brasilienauswanderung offensichtlich so große Erfolge, das die preußische Regierung 1859 zumindest die offene Werbung, nicht die Auswanderung ansich, verbot. Politisch wechselnde Verhältnisse und der Bürgerkrieg ließen den Zuzug nach Brasilien zwar zeitweise einbrechen, aber er nahm immer wieder zu. Anfangs suchte man vermehrt nach Katholiken um ein protestantisches Übergewicht in diesem von einer starken katholischen Kirche geprägten Land zu verhindern.

Nach einem Antrag und verschiedenen Nachweisen, z.B. das sie keine Schulden zurückließen, wurden sie aus der Staatsbürgerschaft entlassen und erhielten einen Reisepass. Die Wegziehenden verkauften ihr Hab und Gut, beglichen ihre Schulden und hofften, nach Fahrkarten und Ticketkauf (Schiffs-Accord) noch etwas Bargeld für den Neuanfang übrig zu haben. Zeitweise wurden auch die Schiffspassagen vom brasilianischen Staat übernommen. Später auch von Kolonisationsvereinen (Menschenhändlern), wobei sich die Passagiere für eine gewisse Zeit als Arbeiter auf brasilianischen Plantagen zu Hungerlöhnen verdingen mussten oder ausbeuterische Halbpachtverträge eingingen. Bei den Ausreisewilligen handelte es sich mehrheitlich um ärmere Familien.

So wird 1846 ein Antrag der Antrag Gemeinde Briedel, 15 Familien Zuschüsse für die Auswanderung zu zahlen zu können, von der Aufsichtsbehörde abgelehnt. Trotzdem zahlte die Gemeinde Briedel in den folgenden Jahren in mehreren Fällen 30 - 40 Thaler als Reisekostenzuschuss, weil die Betroffenen ansonsten dem gemeindlichen Armenfonds zur Last gefallen wären.

Dieser seit dem späten Mittelalter existierende Armenfonds wurde neben freiwilligen privaten Spenden und Zuweisung von Geldstrafen durch eine Sonderabgabe auf Grundbesitz und Anteilen an den Erträgen aus dem Gemeindewald gespeist. Als die Mittel nicht mehr ausreichten, wurde 1862 in Briedel darüberhinaus die Hundesteuer eingeführt, deren Ertrag für den Armenfond zweckbestimmt war.
Die Auswanderer wurden von den Werbern i.d.R. zu Gruppen aus mehreren Orten zusammengefasst. Mit dem Schiff ging's die Mosel hinab über Koblenz-Köln und auf dem Rhein zu den Nordseehäfen. der Abgangshafen, z.B. Amsterdam oder Dünkirchen richtete sich danach, wo der Vermittler seinen Sitz hatte, z.B. die Firma Delrue über Dünkirchen oder wo diese die günstigsten Passagen oder Bedingungen aushandelten. So bot z.B. die holländische Eisenbahn, animiert von den Reedern, offen in Zeitungsanzeigen den kostenlosen Transport des Gepäcks für Auswanderer, die über den Hafen Amsterdam die alte Heimat verlassen wollten, an. Die deutschen Reeder in Bremen und Hamburg erkannten jedoch auch bald die sich bietenden Verdienstmöglichkeiten und zogen die deutschen Auswandererströme zu sich. Ab Köln wurde dazu mit einem verbilligten Auswandererticket die Eisenbahn geworben.

Der brasilianische Vizekonsul Delrue war einer der ersten, der die Anwerbung in Deutschland in großen Stil über Mittelsmänner und örtliche Unteragenten forcierte. Auch ein Pündericher Musiker engagierte sich als Unteragent erfolgreich um die Anwerbung von Moselanern für Brasilien. 1843 verschiffte er anstatt der von der brasilianischen Regierung angeforderten 600 Arbeiter zum Straßenbau 2.318 Personen, denen ein sorgloses Leben als Bauern versprochen wurde, in die neue Welt. Politische Wirren in Brasilien führten Ende 1845 dazu, dass die brasilianische Regierung die Übernahme der Schiffspassagen und die Landzuteilungen für Einwanderer stoppte. In Dünkirchen waren aber schon tausende von Reisewilligen angekommen, die auf die Passage warteten. Viele davon hatten kein Geld um sich Lebensmittel zu kaufen und es kam zu unvorstellbaren Zuständen. Da die Sperrung des Zugangs zu dem Hafen das Problem nicht minderte, und die Familien nicht in Ihre Heimatorte zurückreisen wollten, entschloss sich die französische Regierung, 800 Personen auf einigen Militärschiffen einfach nach Algerien zu bringen und diese dann dort gleichfalls als Bauern anzusiedeln. Es waren auch einige Briedeler Familien mittlerweile in Dünkirchen eingetroffen. Diese hatten jedoch glücklicherweise genug Geld bzw. liehen es sich untereinander aus, sodass alle die Passage nach Brasilien selbst bezahlen konnten und dadurch glücklich die ersehnte neue Heimat erreichten.

Die Überfahrten waren keine Kreuzfahrten im heutigen Sinne. Die Frachtschiffe brachten Waren aus der neuen Welt nach Europa und auf der sonst leeren Rückfahrt wurden eben die Auswanderer "geladen". Eine große räumliche Enge und unzureichende hygienische Verhältnisse auf den kleinen Segelschiffen führten auf der 2-3 monatigen Fahrt oftmals zu vielen Todesfällen. Demgegenüber standen auch immer viele Geburten von den ja jungen Elternfamilien. Einige Schiffe sind auch in den atlantischen Stürmen mit Mann und Maus untergegangen. Erst um 1880 übernahmen Dampfschiffe den Transport und die Reisezeit reduzierte sich wesentlich.

Die Schiffe liefen meistens den Hafen von Rio de Janeiro an. Einige wenige Schiffe segelten hingegen direkt nach Südbrasilien. Hier wurden die Kolonisten nach oft wochenlangem Warten auf kleinere Küstenboote geladen und nach Süden zum Hafen von Porto Alegre in Rio Grande de Sul (z.B. San Leopoldo, Santa Cruz) oder Florianopolis in Santa Catharina (Blumenau) gebracht. Von dort ging's dann mit Ochsengespannen ins Inland zu den vorgesehenen Siedlungsgebieten. Nur wenige kleinere Kolonien befanden sich in der Region um Rio de Janeiro (z.B. Petropolis) oder Sao Paulo (Santa Isabel). Ursache dafür war insbesondere, weil das Klima hier oben für die aus dem kalten Deutschland kommenden ungewohnt und zu heiß war. Die südlichen Regionen hingegen entsprachen in der Temperatur schon eher dem gewohnten Wetter und das Land konnte in gewohnter Weise bebaut werden.
ährend sich die deutschen Auswandererströme überwiegend in die USA richteten, gilt für Briedel gerade das Gegenteil. Mehr als Dreiviertel der Briedeler Winzer, Handwerker und Tagelöhner hatten sich Südamerika als neue Heimat ausgesucht. Die Kolonisten betrieben überwiegend Landwirtschaft und etwas Kleinhandwerk. Dazu wurden ihnen im Vergleich zu den heimischen Minigrundstücken verhältnismäßig große Urwaldflächen vom Staat überlassen, auf denen sie ihre Betriebe ausbauten.

Nach Brasilien wanderten von hier fast nur komplette Familien aus, die teilweise noch verwandt waren. Einzeln reisende Junggesellen bevorzugten hingegen die USA als Land ihrer Träume.

Die neu gegründeten Siedlungen wurden landsmannschaftlich und religiös zusammenhängend gegründet und sobald die Wohnhäuser und Wirtschaftsgebäude fertig waren errichtete man Kirchen und Schulen. So blieben die Sitten und Gebräuche, die sie aus ihrer deutschen Heimat mitbrachten, über die folgenden Jahrhunderte oftmals erhalten. Frühe Gründungen von Gesang- und Sportvereinen unterstützten so den Zusammenhalt. Noch heute gibt es regelrechte Sprachinseln, in denen der moselfränkische (Hunsrücker) Dialekt noch gesprochen wird, und das trotz der massiven staatlichen Unterdrückung der deutschen Sprache und allen Deutschtums während der 1930/1940er Jahre. Das 1844 vom Trierer Bischof herausgegebene Gesang- und Gebetbuch war so noch über 100 Jahre hinweg Standard in den Kirchen Südbrasiliens.

Nicht alle Gründungen waren vom Erfolg verwöhnt. So zeigte sich z.B. in der Kolonie Petropolis, das der Boden für landwirtschaftliche Nutzung auf Dauer nicht geeignet war und sie wurde nach wenigen Jahren stark reduziert. Kolonisten, die in der aufkommenden Textilindustrie keine Verdienstmöglichkeiten fanden, reisten zu anderen deutschen Siedlungen weiter.

Einige der Nachfahren aus der zweiten und dritten Generation zogen nach Argentinien und andere südamerikanische Länder weiter. Später dann wanderten auch viele nach Norden in die USA weiter.

Eine sehr hohe Kinderzahl bei geringer Sterblichkeitsrate brachte eine große Zunahme der deutschstämmigen Bevölkerung Brasiliens. Hohe Religiosität zeichnete u.a. die Briedeler aus. So sind unter ihren Enkeln und Urenkeln mehrere hundert, die geistliche Berufe ergriffen. vier Bischöfe und viele weitere geistliche Würdenträger gingen bisher daraus hervor.

Ein anfänglich sehr reger Briefwechsel der Auswanderer mit den Daheimgebliebenen schlief im Laufe der Zeit ein. Nur wenige Briefe über Beschreibungen der Überfahrt, ihr neues Zuhause und ihre Erfolge und Schwierigkeiten sind erhalten geblieben. Verstärkt ab den 1980-er Jahren begannen auch die Brasilien-Deutschen mit der Suche nach der Herkunft ihrer Vorfahren. Viele Einzelpersonen und mehrere Familiengruppen (bes. Bremm und Reis) besuchten die Heimat ihrer Ahnen und erhielten Besuch von den Moselanern in der neuen Heimat. Die Möglichkeiten des Internet bieten heute den Familienforschern exzellente Möglichkeiten der Suche: von Deutschland aus nach dem Werdegang der Auswanderer, von Brasilien aus nach den Wurzeln der Kolonisten.

In Brasilien haben einige Orte bzw. Bezirke sehr früh Aufzeichnungen über ihre Einwohner, teilweise auch mit deren Herkunft, zusammengestellt. Volkstumsvereine und Zusammenschlüsse von Famillienforschern veröffentlichen diese Unterlagen und ergänzen sie mit vielfältigen weiteren Daten.

 

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