Der Moselwinzer um 1800

 

Auszug aus:
Johann Nikolaus Becker: Beschreibung meiner Reise in den Departementern vom Donnersberge, vom Rhein und von der Mosel im sechsten Jahr der französischen Republik.
In Briefen an einen Freund in Paris im Jahre 1799.

Der dumpfe Qualm in den Thälern wirkt so stark auf die Bewohner der Rhein- und Mosel-Ufer, daß man den derben Hunsrücker auf den ersten Blick von dem schwachen zusammen geschrumpften Weinbauer unerscheiden kann. Die Natur selbst hat sich gegen diesen verschworen, und seine Lage ihn träg und blöde gemacht. Im Sommer hat er keine bestimmte Arbeit, denn er hat keinen Acker und keine Fabriken, und nichts, wodurch er sich mit seinen Nachbarn verbinden kann, als das kümmerliche Geld, das er aus dem Ertrage seiner Weinberge lös`t. Diese Ernte gedeiht im Durchschnitte alle sechs Jahre ein Mahl. In den übrigen Jahren muß er darben, oder Wucherern in die Hände fallen. Er wird genöthigt, den Wein frisch von der Kelter, oder gar am Stocke zu verkaufen, auch wohl auf mehrere Jahre sich voraus bezahlen zu lassen. Diese Noth des Weinbauers giebt den spekulirenden Wucherern am Rhein und an der Mosel ein weites Feld, und sie haben ihre Betrügereien ordentlich in ein Sistem gebracht, in dem sie sich einander nicht zu beeinträchtigen pflegen. Wer im Monat Praireal (20.5.-18.6.) Den Wein am Stocke kauft, giebt ungeführt zwei Drittheile weniger, als wenn er ihn von der Kelter hohlt, denn in jenem Falle riskirt der Wucherer, daß vielleicht der Messidor (19.6.-18.7.), den er den Brat- und Koch-Monat nennt, nicht gut ausfällt, und der Wein schlechter geräth, als man Anfangs nach Wahrscheinlichkeiten berechnet hatte. Ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich behaupte, daß es vielleicht von Mainz biß Koblenz, und von Trier biß Koblenz keine zwanzig Weinbauer giebt, die ihren Wein über den Brumaire (22.10.-20.11.) Hinaus unverschuldet im Keller haben. Dadurch geht nun der eigentliche große Nutzen verloren, den man aus dem Weinbaue ziehen kann. Es giebt Fälle, wo der Wein, wenn er vier oder fünf Jahre alt ist, noch drei und vier Mahl so theuer verkauft werden kann, als wenn er im ersten Jahre, oder wohl gar von der Kelter losgeschlagen werden muß. Die Zeit der Veredlung geht dann für den Verkäufer verloren, und mit ihr dasjenige, was den Wein am kostbarsten macht, undd die meisten Liebhaber anlockt.

Die größten Wucherer in diesen Gegenden sind die Pfaffen und Weinschenken in den kleinen und großen Städten. Bei jenen findet man auch die edelsten Weine. Sie häufen aus dem Ertrage ihrer fetten Pfründen im Winter so viel baares Geld auf, daß sie im Stande sind, im Herbst ihre Keller zu füllen. Sobald der Sommer da ist, und nur einige Aussicht zu einer gesegneten Ernte verspricht, machen sich diese Harpien auf die Beine, baares Geld in der Tasche und Honig auf der Zunge. Meist sind sie schon Gläubiger der Weinbauer. Sie drohen mit Aufkündigung des Kapitals, mit Erpressung der rückständigen Zinsen, und bringen es durch allerlei unerlaubte Mittel dahin, daß ihnen die armen bedrängten Leute die Hoffnung auf ihren Herbst verkaufen. Nicht minder schädlich sind die Weinschenken. Diese haben schon ihre bestimmten Familien, denen sie alle Jahre ihren Wein abkaufen. Braucht der Bauer Geld, wie dies fast durch das ganze Jahr der Fall ist, so geht er zu seinem Abnehmer, borgt auf den kommenden Herbst, bringt das Geborgte durch, und fängt wieder von neuem zu borgen an. Man hat mir Beispiele dieser Art erzählt, die allen Glauben übersteigen.

Wie sehr der Weinbau selbst durch dieses Unwesen leidet, scheint die jenseitige Regierung nicht zu bekümmern. Wenn der Bauer nicht für sich selbst arbeitet, so weiß man, daß nichts con amore geht. Im Frühjahre geht er in seinen Weinberg, aber was soll er sich mit dem Beschneiden und Jäten viele Mühe machen? Die kommende Ernte lacht ihm nicht entgegen, längst hat sie der Pfaff oder Weinschenk verschlungen. Das Einzige, was den Weinbau noch von seinem gänzlichen Untergange gerettet hat, ist das Interesse der Herrschaften, die wegen ihres Zehntens eine starke Aufsicht über die Weinberge führen, und eigene Gesetze vorschreiben, nach denen sich jeder Eigenthümer oder Lehnsmann richten muß.
Die Entbindung von bestimmten Geschäften während des größten Theils des Jahres und der schändliche Handel selbst haben die Moralität der Weinbauer verdorben, und gänzlich das Schlichte und Redliche verwischt. Ich will nicht läugnen, daß uns jener Müssiggänger, dem man einen gewissen Grad von Munterheit nicht absprechen kann, auf einige Stunden ganz gut unterhalten kann, und dies ist, däucht mir, ein allgemeines Phänomen.

Wenn auch der vorliegende Bericht zeitbedingt stark politisch geprägt ist, zeigt er doch im Wesentlichen das Dilemma auf, in dem sich viele Winzer damals befanden. Der Autor J.N. Becker war von der französischen Revolution sehr beeinflusst und seine Schriften zeugen von seinem Kampf gegen die kirchlichen und adeligen Herrschaften.

In Briedel werden diese Verhältnisse nicht so gravierend gewesen sein. Durch die großen Ackerflächen auf der Briedeler Heck und die Rottwirtschaft waren zwei weitere Einkommensmöglichkeiten vorhanden, die die Abhängigkeit von den witterungsbedigt oft schwankenden Erlösen aus dem Weinbau ausglichen.

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