Ein Prunkstück in Barock
Gedanken um den neuen "alten Hochaltar" in der Briedeler Kirche
von Christine Breuer, 1949
Wenn ein Lehrer ungefähr 40 Jahre lang in einer Gemeinde seine ganze Liebe und Kraft der Jugend geschenkt hat, um sie zu brauchbaren, glücklichen Menschen für das Diesseits und Jenseits, zu erziehen, dann ist er mit den Menschen dieser Gemeinde Verwachsen. Und wenn er seinen Lebensabend unter ihnen verbringen darf, nimmt er an allen frohen und traurigen Ereignissen des Ortes innig teil, bejaht sie, oder ist ihretwegen bekümmert, falls er sie mit seinem pädagogischen Weitblick nicht gutheißen kann.
Und wenn dieser Lehrer während seiner Dienstzeit mit Begeisterung als Organist dem Lobe Gottes diente, und auch in schwierigen Zeiten diesem Amte treu blieb, ist seine Seele mit Kirche und Gottesdienst verkettet. Dann freut er sich, wenn er bei Gelegenheit als alter Herr von 77 Jahren seinen Nachfolger auf der Orgel vertreten darf.
So ist es in Briedel! Und jeder Briedeler freut sich mit dem alten Hauptlehrer Hürter, auch sein Nachfolger, der vielleicht dabei denkt, wie es ihm später sein könnte.
Aber dann kam ein Tag, da erkannte niemand den alten Herrn bei seinem Orgelspiel wieder. Das jubilierte, brauste und wogte in vollen Harmonien durch das Gotteshaus wie ein einziger Jubel, der sich aus übervoller Seele in der Musik ergießen will. Das Ereignis des Tages war auch des Jubelns wert! Die Kirche feierte das Fest ihres Schutzpatrons, des hl. Martinus, und an dem neuen „alten Hochaltar" wurde zum ersten Male das hl. Opfer dargebracht. Das Brausen und Wogen der Musik paßte so recht zu dem Wogen und Brausen der Linien und Farben des einzig schönen barocken Gemäldes im Gotteshause, vor allem aber zu dem in neuem Gewände erstrahlenden Hochaltar. Wer Augen, Ohren und Herz an diesem Morgen offen hatte, erlebte etwas sehr Schönes.
Die Augen können sich nicht sattsehen an der Harmonie der wundervoll geschwungenen Linien, die sich in verschiedenen Variationen zunächst am Altar wiederholen, dann in dem Gemälde an der Rückwand des Chores und dann hinübergleiten in das herrliche Deckengemälde. Form und Farbe des Hochaltars ziehen die Blicke des Eintretenden auf sich, so daß der Altar spürbar Mittelpunkt des Gotteshauses ist. Die schon vor längerer Zeit aufgearbeiteten Nebenaltäre mit den schönen polychromierten barockenen Figuren treten sehr in den Schatten gegenüber dem in warmem Braun und Hellbeige und viel Gold erstrahlenden Hochaltar mit seinen reichen Rosen- und Rankenverzierungen. Und doch liegt eine prächtige Harmonie in dem Bild, das sich bietet, wenn man die Blicke über Beichtstuhl, Kanzel und Marienaltar zum Hochaltar schweifen läßt.
Wie der Altar in seiner Ganzheit ein Prunkstück darstellte, so auch in seinen Einzelheiten. Recht massiv wirkt der braune Unterbau mit den geschwungenen, beige abgesetzten Kanten, die gut zu den geschwungenen vergoldeten Linien und dem runden blau- und goldgrundigen Milieu der Vorderseite passen. Am reichsten verziert und dadurch als Mittelpunkt des Altars wieder besonders betont ist das ganz vergoldete Tabernakel, dessen oberer Teil drehbar ist und drei verschiedene Rückenwände hat. Recht lieblich sind die mehr schwebenden als knieenden kleinen Engel mit ihren Rauchfässern neben dem Tabernakel. Hoch über dem Tabernakel thront auf einem reich verzierten Aufbau der heilige Kirchenpatron, St. Martinus mit Bischofsmütze und Krummstab, in hellem, goldverbrämten Gewände. Seine Figur zeigt den gleichen barocken Schwung wie die der beiden Apostelfürsten Petrus und Paulus, die tiefer seitwärts auf dem Altar stehen. Die Linie, die von St. Martinus zu ihnen herunterführt, ist zur Zeit noch unterbrochen, da die Engel noch fehlen, die bis Weihnachten aber auch fertiggestellt sein sollen. Von den Apostelfürsten führt die Linie seitwärts weiter zu den Figuren des heiligen Bedediktus und des Bernardus, die auf Postamenten neben den Chorstühlen aufgestellt sind. Diese beiden Figuren verraten uns etwas aus der Geschichte der Pfarrei Briedel. Vor mehr als 700 Jahren gehörte Briedel seelsorgerlich zum Kloster St. Trond bei Lüttich. Im Gedenken daran, daß einst Mönche, die nach der Regel des heiligen Benedikt lebten, hier gewirkt haben, wurde von den Vorfahren die Statue des hl. Benedikt aufgestellt. Später kam Briedel durch den Kurfürsten Balduin von Trier zum Kloster Himmerod, in dem Zisterzienser wirkten. Zu ihrem Orden gehörte auch der große heilige Bernardus, der zeitweise auch in Himmerod weilte.
Die Briedeler Pfarrkirche ist durch den neuen „alten Hochaltar" bedeutend bereichert worden. Es war ihm im Jahre 1901 ergangen wie vielen Barockaltären in anderen Kirchen. Er hatte einem neuen Altar in gotischem Stil weichen müssen. Der neue war den Menschen damals schöner vorgekommen, und sie haben ihn geliebt. Und als er jetzt dem alten wieder Platz machen sollte, war es zuerst vielen noch gar nicht recht. Das muß man verstehen. Für diesen Altar hatten sie einmal gearbeitet und geopfert, an ihm die Erste Heilige Kommunion empfangen, vielleicht vor ihm den Ehebund geschlossen, jedenfalls oft davor gekniet und gebetet. Es war ihnen nicht aufgegangen, daß er in ihrer schönen Barockkircbe ein Fremdling war. Aber daran waren sie nicht schuld. Sie kannten vielleicht nicht das Gesetz der Harmonie. Da noch Teile des alten Altars vorhanden waren, lag nichts näher, als den Fehler wieder gutzumachen, den man gegen das Gesetz der Kunst begangen hatte.
Die damit gestellte Aufgabe war aber nicht leicht zu lösen. Es galt einen Künstler zu finden, der den Altar in seiner alten Form, aber in einem neuen Kleide, passend zu dem renovierten alten Gemälde der Kirche, das aus dem Jahre 1781 stammt, herrichten sollte. Ein solcher Künstler muß sich mit seinem ganzen inneren Erleben in das Empfinden der Menschen der Barockzeit hineinversetzen können, muß ihre Formen und Farben nacherleben können. Daß in dem Münstermaifelder Künstler, Karl Port, der rechte Mann gefunden wurde, beweist der fertige Altar. Man steht staunend, wenn man betrachtet, wie Menschengeist, Menschengeschicklichkeit und Fleiß aus einfachem Material ein Prunkstück erstehen ließen, das ein beständiges Lob auf die Kunst der Menschen und ein noch größeres Lob auf Gott ist, „der dem Menschen solche Macht gegeben".
Von besonderem Reiz war es, den Meister und seine Gehilfen, darunter seine Tochter Elisabeth, bei der Arbeit zu beobachten. Da wurde nicht nur mit den Händen und dem Kopf und um des Verdienstes willen gearbeitet, da war das Herz, die ganze Seele dabei, die Liebe zur Sache. Der Briedeler Altar war lange Mittelpunkt der Werkstatt des Künstlers, und die ganze Familie lebt mit ihm. Jeder wollte etwas an dem Altar getan haben, selbst die alte Großmutter, die Mutter des Künstlers. Es muß ergreifend gewesen sein, wie sie mit aller Innigkeit tagelang an den Weihrauchfäßchen der Tabernakelengelchen scheuerte, um ihnen den nötigen Glanz wiederzugeben. Sie haben den rechten Glanz wiedergefunden und leuchten uns nun entgegen wie der ganze Altar, wenn wir betrachtend davorstehen. Viele Gäste, die in Briedel Erholung suchen und zum hochgelegenen Kirchlein hinaufsteigen, werden sich freuen. Aber noch schöner wird die Kirche werden, wenn nach ihrer Aufarbeitung die Kommunionbank als Speisetisch dem Altar als Opfertisch angepaßt sein wird.
Alle Briedeler, die sich irgendwie für die Erneuerung des alten Hochaltares einsetzten, vor allem auch durch Spenden an Wein. Geld und Goldsachen - Eheringe, Schmuckstücken, Uhren usw. -dürfen mit stillem Glück die Freude des Gebers genießen. Und die Gemeinde Briedel darf sich freuen, für dieses Prachtstück das Holz aus ihren Waldungen gestiftet zu haben